Produktdesign steht niemals nur für sich allein. Es verkörpert stets auch die Marke und das Unternehmen, das es produziert. Es ist ein wichtiger Bestandteil des Corporate Designs. Auch wenn jedes Modell andere Anforderungen und Zielgruppen hat, die Familienzugehörigkeit sollte immer gut erkennbar sein.
Unternehmen und Marken werden meist ähnlich wie Personen wahrgenommen. Wie im echten Leben sind uns einige mehr, andere weniger sympathisch. Es gibt zum Beispiel jugendliche, hochseriöse, ausgeflippte, sportliche und jede Menge anderer Firmen, die aufgrund ihrer Identität ganz bestimmte Zielgruppen ansprechen. Zusammengefasst sind die Charakteristika eines Unternehmens in der Corporate Identity, kurz CI genannt.
Während man Personen durch ihr Aussehen, ihr Verhalten, ihre Gestik und Mimik, ihre Herkunft oder Sprache erkennen kann, nutzen Firmen ganz ähnliche Merkmale, um eindeutig erkennbar zu sein. Nur so ist es möglich, sich von der Konkurrenz, die ja bekanntlich nicht schläft, wirkungsvoll und vor allem langfristig zu unterscheiden. Die gesamte Kommunikation, das visuelle Auftreten und sämtliche Handlungen eines Unternehmens prägen die Identität einer Firma.
Das visuelle Erscheinungsbild wird innerhalb der CI durch das Corporate Design bestimmt, oft auch durch CD abgekürzt. Hier sind die verbindlichen Anforderungen festgelegt, wie das Logo, die Unternehmensfarben, die Hausschrift, welche Bildsprache Anwendung findet oder auch wie die Arbeitskleidung gestaltet ist. Selbst das Design von akustischen Auftritten, zum Beispiel der Sound in Verbindung mit dem Logo, wird im CD geregelt.
Im Corporate Design klafft meist eine große Lücke. Man könnte annehmen, dass Produzenten das Produktdesign als bedeutenden Bestandteil ihres CD betrachten. Doch weit gefehlt. Produkte werden zwar mehr oder weniger aufwendig gestaltet, aber es gibt oft keine eigenständige Linie, die sich wirklich konsequent durch die gesamte Produktpalette zieht. So könnte man manchen Firmen eine „gespaltene Persönlichkeit“ diagnostizieren, die ihrer Identität nach das eine wollen, aber mit dem Design einiger Produkte genau das Gegenteil ausdrücken.
Langsam erkennen immer mehr moderne Unternehmen, dass Produktdesign ein überaus wichtiger Bestandteil des eigenen Unternehmensauftritts ist. Eine gute Wiedererkennbarkeit von Produkten ist essenziell – jeder einzelne Artikel bestimmt das Bild eines Unternehmens maßgeblich mit.
Um das Ganze einmal zu verdeutlichen: Stellen Sie sich bitte vor, die Produkte eines Unternehmens stehen vor Ihnen. Sie sind gut zu erkennen, allerdings ist das Logo verdeckt. Erst wenn sich die Produkte einander in einem gewissen Maße ähneln, werden Sie diese als Bestandteile einer Produktfamilie erkennen. Erst dann lässt sich von einem definierten Corporate Design sprechen. Bei zu großen Unterschieden im Design verhält es sich ansonsten wie mit dem
Kuckucksei, es passt „eigentlich nicht ins Nest“, respektive zur Produktfamilie.
An dieser Stelle sei auch einmal auf das Thema OEM-Artikel verwiesen. Produkte, die von einem Original Equipment Manufacturer hergestellt werden, kommen meist unter einem fremden Namen auf den Markt. Ein OEM produziert Waren und bietet sie anderen Herstellern zum Vertrieb an. Auch wenn diese Artikel oft das Logo des vertreibenden Unternehmens tragen, fehlt ihnen eine unternehmensspezifische Identität.
Dabei bietet ein konsequent eigenständiges Produktdesign unglaubliches Potenzial, sich von anderen zu differenzieren. Gerade weil sich viele Artikel immer mehr ähneln.
Sphere
Bei der innovativen Waschmaschine wurde die Natur als Inspiration genommen. Mit organischen Rundungen wird das Äußere der Maschine inszeniert und nähert sich dessen Funktion an. Die runde Trommel und die Drehung von Waschmaschinen geben das Ergebnis bereits vor: eine fließende, runde Form. Hier galt es, sich auf das Wesentliche zu reduzieren, ohne wichtige Elemente zu entfernen. Mit den minimalistischen Formen, der getönten Glasfront mit Push-to-open-Mechanismus und den puristischen Bedienelementen macht sie Langeweile beim Waschen fast unmöglich. Ob in der offenen Wohnküche oder in einem Wellnessbadezimmer – sie verändert überall die Raumstimmung positiv.
Eine gestalterische Verwandtschaft von sämtlichen Produkten eines Unternehmens zu entwickeln ist keine leichte Aufgabe. Aber sie lohnt sich. Besonders dann, wenn man eine einmalige Formensprache gefunden hat und sie langfristig einsetzt. Damit setzt man sich in der Wahrnehmung der Verbraucher schon auf den ersten Blick von der Konkurrenz ab. Im besten Fall setzt man einen Trend, und das Design einer Marke wird einzigartig.
Wie kreiert man aber eine Formensprache für eine Marke?
Typische Merkmale etablieren.
Ob es sich um die gleichen Abrundungsverhältnisse von Ecken handelt oder eine ganz bestimmte Form der Bedienelemente: Durch die Definition einer typischen Formensprache lassen sich eigenständige Merkmale definieren, die durch ihre wohldosierte Wiederholung bei verschiedenen Produkten einer Firma einen Wiedererkennungswert erzeugen. Je einmaliger und neuartiger die Merkmale, desto höher die Wiedererkennung. So lässt sich durch die Form ein Alleinstellungsmerkmal erzeugen; denken Sie nur einmal an die quadratisch praktische Schokolade oder an die dreieckigen, nussigen Schokostücke aus der Schweiz.
Ein einheitliches Gesamtbild.
Ähnlich verwendete Materialien können beispielsweise die Zugehörigkeit zu einer Marke symbolisieren. Die Art, wie ein Material bearbeitet ist, die Kombination mit anderen Werkstoffen, all das sollte sich bei einem professionellen Produktdesign möglichst durch alle Produkte ziehen. So ergeben alle Artikel eines Unternehmens, ähnlich wie Puzzlestücke, ein großes, schlüssiges Gesamtbild. Auch eine einheitliche Farbgebung, ein typisches Finishing der Oberflächen oder der Einsatz von Typografie tragen dazu bei und erhöhen den Effekt der Familienzugehörigkeit zusätzlich. Denken Sie nur einmal an die weltberühmten Silberpfeile: Die typische silberne Oberfläche der Mercedes-Benz-Rennwagen verbindet eine ganze Reihe unterschiedlicher Fahrzeuge und kennzeichnet sie dennoch eindeutig als Mercedes-Benz. Ist dagegen von einem roten Sportwagen die Rede, könnte es sich zwar auch um einen Renner aus Stuttgart handeln, doch die meisten Menschen denken sicher an ein Auto aus Italien.
Die Produktpersönlichkeit.
Ähnlich wie ein Unternehmen strahlt auch jedes Produkt einen ganz bestimmten Charakter aus. Es gibt seriöse, humorvolle, aggressive, langweilige, nette, niedliche oder auch einfach nur pragmatische Produkte. Das rührt daher, dass Formen, Farben und Materialien in unserer Wahrnehmung unterschiedliche Assoziationen auslösen. Zum Beispiel wirken runde Formen, kombiniert mit weichen Materialien und bunten Farben, auf uns freundlicher als spitze, scharfe Konturen, gepaart mit harten Materialien und grauer „Farbigkeit“. Nicht umsonst tragen die Bösewichte in Filmen meist dunkle Gewänder und schleppen ein ganzes Sammelsurium an spitzen Waffen mit sich. Wir haben durch zahlreiche Erfahrungen gelernt, dass scharfe Kanten Verletzungsgefahr bedeuten, und reagieren deshalb mit einem gewissen Respekt. Geschickt eingesetzt, lässt sich diese gelernte Formensprache dazu nutzen, um einem Produkt einen eigenen Charakter zu geben. Dabei sollte man stets beachten, dass diese kreierte Produktpersönlichkeit im Einklang mit der Identität des Unternehmens steht und auch die Funktion des Produkts nicht beeinträchtigt. Produktdesign muss nicht nur dem Produkt gerecht werden,
sondern auch der Marke. Um den Charakter eines Produktes optimal herauszuarbeiten, sollte man drei Punkte beachten: die Funktion, die CI und die Zielgruppe.
Vereinfacht gesagt: Ein Produkt sollte seine Funktion und die dazu passenden Assoziationen ausstrahlen. Ein wasserdichtes Gerät muss nicht nur wasserdicht sein, sondern auch schon im Trockenen so aussehen. Ein Sportwagen sollte nicht nur rasant beschleunigen, sondern bereits im Stand eine gewisse Rasanz verkörpern. Die Qualitäten eines Produktes erfassen wir zum ersten Mal auf optischem Wege – wenn das Design hier nicht optimal wirkt, kann das Produkt noch so gut sein, wir sehen es ihm einfach nicht an. Die Folge: Wir wenden uns stattdessen der besser gestalteten Konkurrenz zu, bevor wir das Produkt auch nur ein einziges Mal ausprobiert haben. Das Küchenmesser Sharko liefert ein Beispiel, wie Optik und Funktion Hand in Hand gehen und sich gegenseitig ergänzen. Die Form ähnelt einem Haifisch. Diese eleganten Räuber sind für ihre messerscharfen Zähne bekannt. Genau deshalb löst die dynamisch geschwungene, haifischartige Form des Messers ebenfalls die Assoziation „scharf“ in uns aus. Auch wenn dieser Gedankengang nicht bewusst abläuft, der Betrachter kann sich dieser Wirkung nicht entziehen: Das Messer wirkt scharf, selbst dann, wenn man es noch gar nicht getestet hat.
Zusätzlich zu der Funktion kann der Charakter eines Produktes auch das Imageprofil eines Unternehmens und der Marke symbolisieren und verstärken. Die Definition ist allerdings abhängig von der im Vorfeld definierten Marketingstrategie des Unternehmens. Nicht nur das Produkt sollte gut auf die Corporate Identity abgestimmt sein, sondern auch das Design. Manche Produkte verkaufen sich bei manchen Zielgruppen am besten über Humor, andere Kunden würde man genau damit eher vergraulen. Im besten Fall ergibt alles eine wirkungsvolle Einheit, das Design eines Produktes ist attraktiv und fügt sich perfekt in die Identität der Firma. So wird aus jedem Produkt ein Statement für die Marke.
Die Frage, für wen ein Produkt gemacht wird, ist des Öfteren für den Markterfolg entscheidend und somit relevant bei der Gestaltung. Deshalb lohnt es sich erst einmal, die Zielgruppe etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Wer ist die Kernzielgruppe? Welche Charaktereigenschaften besitzt sie? Welche Interessen, Erwartungen oder umgekehrt welche Abneigungen und Bedenken hat sie? Eine Anpassung des Produktcharakters an die Zielgruppe setzt eine Analyse der potenziellen Konsumenten voraus.
Dabei sind zwei Attribute zu berücksichtigen:
• Soziodemografische Merkmale (wie Geschlecht, Alter, Familienstand, Einkommen,
Bildungsniveau, kulturelle Wurzeln etc.)
• Psychografische Merkmale (wie politische Einstellung, sexuelle Identität, Lebenseinstellung, Glaube etc.)
Erst wenn Sie ähnlich wie bei den Kriminologen und Fallanalytikern ein umfassendes Zielgruppenprofil erstellt haben, können Sie vermuten, was der Verbraucher von dem Produkt erwartet und welche Eigenschaften seinem Geschmack und seinen Bedürfnissen entsprechen. Wenn Sie zum Beispiel ein Hörgerät für Senioren gestalten, dann sind wahrscheinlich andere Farben zu wählen, als wenn Sie Spielzeug für Jungs zwischen 5–8 Jahren entwerfen. Die Herausforderung liegt meistens darin, sich gut in die Lage der Zielgruppe zu versetzen und das Produkt aus ihren Augen zu betrachten. Selbstverliebt in den eigenen Geschmack die Zielgruppe zu ignorieren und permanent zu versuchen, den eigenen Stil durchzuboxen, führt nicht unbedingt zum Markterfolg.
Sharko
Das Kochmesser Sharko ist aus geschmiedetem Spezialklingenstahl und hat einen Griff aus Corian. Dieser acrylgebundene Mineralwerkstoff zeichnet sich durch extreme Langlebigkeit aus. Die gesamte Linienführung des Messers ist anmutig und markant. Zugleich erinnert die Form nicht zufällig an die Stromlinienform eines Hais. Dies unterstreicht die Schärfe des Produkts. Tatsächlich hält die Linienführung auch in funktioneller Hinsicht, was sie optisch verspricht: Sie ist darauf ausgelegt, die Handhabung besonders angenehm und ergonomisch zu machen.
Die Texte sind Auszüge aus dem Buch "360° Industrial Design" von dem Autor Arman Emami, erschienen 2014, niggli Verlag